10 Cent

Heute war ich auf der Bank. Meine Frau brauchte aus Gründen einhundert australische Dollars. Weil man so exotisches Geld nicht einfach bei der Filiale um die Ecke abholen kann, bestellte sie es bei der Kreissparkasse. Heute kam es dort an und ich wurde telefonisch angewiesen, es bei der Filialdirektion unserer Kreisstadt abholen. Dazu musste ich meinen Ausweis mitnehmen sowie eine von meiner Frau unterschriebene Vollmacht. Ich hätte ja auch ein Betrüger sein können, der auf die Kreissparkasse geht und dorthin bestellte Dollars abholt. Oder ein Bankräuber, der sich auf australisches Geld spezialisiert hat. Nein, zweiteres eher nicht. Es gibt ja keine Kassenschalter mehr, nur Servicepoints. Muss man auf den Service warten, wird Bankraub zum Zeitraub.

Aber zurück zu meinem anvisierten Devisengeschäft. Welcher der drei als offen deklarierten Tresen hatte nun die Dollars? Weil meine Frau versprochen hatte, es handele sich um eine junge, hübsche Dame, die mir das Geld geben werde (was gelogen war, aber – wie erhofft – meine Bereitschaft zu dem Stadtgang signifikant erhöhte), steuerte ich einen von zwei jungen Damen besetzten Servicepoint an. Mein Anliegen wurde angehört, dann schnappte sich eine der Damen meinen Ausweis und verschwand damit hinter einer panzerglasig anmutenden Sicherheitstür. Die Szene erinnerte mich an einen Vorfall auf dem Flughafen von Dhaka, als ein Sicherheitsoffizier, den wir in der von Hadschpilgern übervölkerten Flughafenhalle nach unserem Anschlussflug gefragt hatten, sich unserer Pässe bemächtigte und sagte, er würde sich darum kümmern. Was, wenn die Dame (bzw. der Offizier) nun nicht mehr zurückkäme? Was, wenn ein Banküberfall stattfände (bzw. wir aus Versehen nach Mekka flögen)? Man könnte sich nicht ausweisen und würde dann möglicherweise ausgewiesen. Aber wohin? Ich begann zu schwitzen. Aber all diese existenziellen Fragen zerstoben ins Nichts in dem Moment, als mein Blick auf den Boden fiel. Ebenfalls auf den Boden gefallen lag dort ein 10-Cent-Stück.

10-Cent-Stück, Vorderseite

Das Sprichwort „Das Geld liegt auf der Bank“ streifte eine meiner Hirnregionen. Ich blickte mich um. Ist es statthaft, Geld aufzuheben, das in der Bank auf dem Boden liegt? Auf dem Boden liegendes Geld hebe ich grundsätzlich auf, denn auch das Sprichwort „Wer den Pfennig nicht ehrt …“ ist mir geläufig. War ein Besitzer in der Nähe? Eine Besitzerin? Niemand schien Anspruch erheben zu wollen. Zwei im Wartebereich sitzende Männer streichelten ihre Händis. Ich hob das goldfunkelnde Geldstück auf. Da kam die Dollar-Dame zurück, einen dicken Umschlag in der Hand. Ob ich noch etwas dabei habe? Ihr Blick hing misstrauisch an der 10-Cent-Münze. Mein Blick hing misstrauisch an ihrem Umschlag. Hatten wir zu viele Nullen angegeben? War unser Konto jetzt leergeräumt?

Ich versicherte ihr, ich hätte tatsächlich und übergab ihr die auf einem kleinen Zettel handschriftlich vermerkte Vollmacht. Sie schien mit dieser Form nicht so recht einverstanden. Ich könnte ja ein Vollmachtbetrüger sein und mir das Dokument selbst vorschreiben können, las ich in ihren nach unten sich biegenden Mundwinkeln. Da eilte ein weiterer Mitarbeiter aus einer gänzlich neuen Richtung heran. Es habe alles seine Richtigkeit, sprang er mir deus-ex-machina-gleich bei, er habe mit meiner Frau diese Form vereinbart und alles sei bestens. Im Gegensatz zur misstrauischen Bankerin schien er an mir keinerlei Trickbetrügerhabitusanzeichen zu entdecken. Die hingegen vermerkte spitz, jetzt müsse aber noch jemand den Antrag unterschreiben und wies auf eines jener Schriftstücke, die – wir mir erst jetzt klar wurde – den Umschlag füllten, in dem ich Dollarnoten glaubte. Und dafür häbe ich („häbe“ ist kein Schreibfehler, sondern einer von mehreren anwendbaren schwäbischen Konjunktiven) ja wohl keine Vollmacht. Dies betrübte meinen Sparkassenfreund nur kurz, dann erhellten sich seine Gesichtszüge. Er könne dies telefonisch mit meiner Frau klären, ich sei dafür nicht mehr vonnöten. Zähneknirschend zählt mir meine Feindin zwei brandneue 50-Dollar-Noten mit dem Konterfei David Unaipons, Australiens Leonardos, wie man weiß, auf den Sparkassenservicepointtresen.

Jetzt müssten wir nur noch klären, konterte ich, proaktiv den nächsten Angriff antizipierend, was wir mit den 10 Cent machen sollten, die ich auf dem Bankboden vorgefunden häbe (in diesem Fall schwäbisches Präteritum). Auch zu diesem Thema hatte die Kreissparkassenangestellte eine dezidierte Meinung. Das fragliche Geldstück, so mein Gegenpart, könnte einer Bankkundin gehören, der heute ein Missgeschick passiert sei. Zwar behielt sie weitere Details für sich, nichtsdestotrotz bot ich sofort an, das Corpus Delicti zur Verfügung zu stellen und legte es tresennah ab. So könnten sie den Betrag nicht verbuchen, entgegnete meine Widersacherin und schob es wieder in meine Richtung zurück.

Da kam eine andere Kundin zu Hilfe, ein kleines Mädchen hinter sich herziehend. Wo ihr Kind ein kleines Geschäft verrichten könne? Ein kleines Geschäft könne ich gerne anbieten, erwiderte ich stellvertretend für die ganze Versammlung, drückte dem Mädchen den Groschen in die Hand und empfahl mich.

Widerstand ist Pflicht

Vor gut drei Wochen, am 31. Januar, jährte sich der Mössinger Generalstreik zum 88. Mal. Damals gingen Hunderte in dem schwäbischen Dorf Mössingen gegen Hitler auf die Straße – als erste und als einzige in Deutschland. Zum 80. Jubiläum der fast vergessenen Geschichte brachte das Melchinger Theater Lindenhof das Stück „Ein Dorf im Widerstand“ auf die Bühne der Stadt Mössingen. Begleitet wurde das Mammutprojekt mit über hundert Laiendarsteller:innen und Musiker:innen von der Filmemacherin Katharina Thoms. Ihr Dokumentarfilm „Widerstand ist Pflicht“ erschien 2015. Jetzt wurde der Film freigeschaltet. Hier der Trailer:

Den Film selbst gibt es auf Vimeo zu sehen.

Alltagsrassismus

Man konnte in den letzten Tagen viel über die bös missglückte WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ lesen und hören. In dieser Talkshow diskutierten vier weiße Promis unter anderem über Rassismus. Allein dieser Satz sagt eigentlich schon alles. Vier Männer diskutieren über Sexismus. Vier Banker diskutieren über Hartz 4. Vier Nonnen diskutieren über Autotuning.

Zum Glück muss niemand diese Talkshow sehen. Michel Abdollahi hat sie für uns zusammengefasst. Und erklärt uns auf unglaublich sachliche Art, wie Alltagsrassismus funktioniert. Warum es nicht darum geht, „dass man es ja nicht so meint“ oder „dass man nichts mehr sagen darf“. Sondern darum, wie sich rassistische Strukturen in der Sprache manifestieren. Und warum sich das ändern muss. 13 lohnende Minuten.

Urzeit auswählen

Seit geraumer Zeit nervt Windows 10 nun wieder mit seinem neuesten „Funktionsupdate“. Natürlich werde ich es früher oder später installieren müssen. Dann möchte ich das aber zu einer Zeit tun, in der ich nicht produktiv sein muss, denn kein Mensch weiß, wie lange das Ding braucht und welche Katastrophen danach wieder auszubügeln sind.

Der Hinweis heute morgen sah nun etwas anders aus als bisher. Offensichtlich hat Microsoft eine raffinierte Idee entwickelt, wie das vertrackte Zeitproblem zu lösen ist: Eine Zeitmaschine spult das Update einfach in der Vergangenheit ab. So hat man dafür locker so viel Zeit wie die Entstehung fossiler Brennstoffe benötigt. Das sollte reichen. Genial!

urzeit

Das Gift wirkt

Lieber Deutschlandfunk!

Ich schätze deine Nachrichten, deine Moderatoren, deine Sachlichkeit und überhaupt deine Existenz. Wegen dir zahle ich die Rundfunkgebühren gerne. Aber in den Sechsuhrnachrichten heute morgen fielen mir zwei Punkte auf, die mich spüren ließen: Das AfD-Gift wirkt jetzt auch schon bei dir.

Nummer eins: Die Meldung über die Tötung eines 14-Jährigen durch einen 15-Jährigen in Lünen endete mit dem Satz: „Der Tatverdächtige, der morgen dem Haftrichter vorgeführt werden soll, und das Opfer sind Deutsche.“ So gut die Nennung der Nationalitäten vielleicht gemeint sein soll – sie ist reines AfD-Sprech und steht im Gegensatz zum Pressekodex, wonach die Nationalität von Tätern oder Verdächtigen nur genannt werden soll, wenn ein begründetes öffentliches Interesse besteht. Im vorliegenden Fall wird aber geradezu suggeriert, dass es berichtenswert sei, dass es sich bei Täter und Opfer um Deutsche handelt. Tenor: Das hier ist die Ausnahme von der Regel. Und die Rechten reiben sich die Hände.

dlf24aufmacher

Nummer zwei (und gleichzeitig Aufmacher auf deiner Internetpräsenz dlf24.de): Ich kann mich nicht erinnern, jemals in den Nachrichten gehört zu haben, welche Partei welchen Vorsitz in den Fachausschüssen des Bundestags erhalten habe. Heute morgen aber zählst du alle Ausschüsse auf, in denen die AfD den Vorsitz übernehmen soll – und nur die. Mag sein, dass es von Interesse ist, welche Ausschüsse die unter Beobachtung stehende Partei dominieren wird. Vielleicht auch eine Meldung wert wäre, dass ein AfD-Abgeordneter, der nach Medienberichten Verschwörungstheorien verbreitet und fremdenfeindliche Ressentiments schürt, den Haushaltsausschuss übernimmt. Aber hat man jemals gemeldet, welcher Hinterbänkler den Tourismusausschuss besetzt? So erhalten die Rechtspopulisten das, was sie am liebsten mögen: Aufmerksamkeit für nichts.

Lieber Deutschlandfunk: Lass das bitte sein!

Agenda-Setting

Franziska Schreiber trat 2013 in die AfD ein, war Pressesprecherin der „Jungen Alternative“ und in Sachsen auch zeitweise deren Vorsitzende. Sechs Tage vor der Bundestagswahl verkündete die 27-Jährige ihren Austritt aus der Partei. Das lesenswerte Vice-Interview mit Schreiber zeigt die Innenseiten der AfD, aber auch, was zu tun ist.

Wie kann man der AfD am besten schaden?
Wenn man die AfD sinnvoll angreifen will, muss man verhindern, dass sie Themenmonopole hat. Und man muss immer wieder zeigen, dass die Partei in fast allen Punkten nicht über die Analyse des Problems hinausgekommen ist.

Schon vor dem Start der Koalitionsverhandlungen hat die CDU-Kanzlerin eine verfassungsfeindliche CSU-Obergrenze für das Asylrecht akzeptiert. Und wer hat das Thema auf die Agenda gesetzt?

Von Österreich lernen

Das systematische Hyperventilieren der Medien, wenn es um die Rechtspopulisten geht, wird weitergehen. Die einen greifen die anscheinend so virulenten Themen dieser Partei verstärkt auf, die anderen beobachten jeden Pups einer Gruppierung, die von 87 Prozent der Wähler abgelehnt wurde. Und alle spielen damit nach den Regeln einer Partei, die sehr genau weiß, wie sie weiter nach oben kommt. Sie hat mit der FPÖ ein Vorbild, das vor 30 Jahren in Österreich demselben Sumpf entstieg.

Christoph Schattleitner erklärt in einem lesenswerten Hintergrundbeitrag bei Krautreporter aus österreichischer Sicht die Spielregeln, aber auch, wie man sich diesem rechtspopulistischen Mensch-ärgere-dich entziehen kann: Indem man die Rechtspopulisten ernst nimmt.

„Dieser Zugang holt das Spiel wieder auf den richtigen Boden, den demokratischen. Wenn man der Versuchung widersteht und die Pöbeleien ignoriert, bleibt nämlich nicht mehr viel von den Rechtspopulisten übrig. Sie haben meist einfach nur eine große Klappe. Deshalb entzaubert man sie nicht mit Empörung, Warnung oder Anschreien. Man entzaubert sie – wie der Abgeordnete der österreichischen Grünen und jetzige Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Video unten –, wenn man ihre Vorschläge ernst nimmt und sie sachlich durchrechnet. Ihre Politik ist nicht logisch und führt in den seltensten Fällen zu besseren Lösungen.

Sie ernst zu nehmen, heißt nicht, sie zu relativieren. Es ist nur der erfolgversprechendere Weg, sie zu kritisieren. In der österreichischen Geschichte haben die Rechtspopulisten übrigens nur zwei Mal – dafür fundamental (minus 28 Prozent, minus 16 Prozent) – vom Wähler eins auf den Deckel bekommen. Das war, als sie in der Regierung saßen und nicht mehr schreien konnten (aber sehr, sehr viel kaputt gemacht haben).“

Hier das erwähnte Video, in dem der heutige Bundespräsident Van der Bellen die FPÖ ernst nimmt, eine Lehrveranstaltung für den Umgang mit den Neuankömmlingen im 19. Deutschen Bundestag:

Liebe Firma StarMoney,

Sie hatten beabsichtigt, eine Software zu schreiben, die bei den Anwendern Vertrauen erweckt. Macht ja auch Sinn, wenn es um Online-Banking geht. Da würde ich Ihnen gerne einen Tipp zu den „Status-Meldungen“ Ihres Programms geben:

starmoney-anfuehrung

Anführungszeichen signalisieren „Distanzierung“, manchmal auch Ironie. Axel Springer schrieb die sogenannte „DDR“ in Anführungszeichen. Eine Terminüberweisung in Anführungszeichen könnte heißen, dass es sich um so etwas wie eine Terminüberweisung handeln könnte – aber nicht muss. Vielleicht ist es sogar gerade keine Terminüberweisung, wer weiß? Damit kann sich der Anwender sicher darauf verlassen, dass eine Terminüberweisung durchgeführt wird – oder nicht. Überwiesen wird dann so eine Art „Betrag“, was auch immer das sein soll. Vielleicht die Note für das bisherige Betragen des „Kunden“ gegenüber der „Bank“? Ja, wäre möglich. Vielleicht auch nicht. Machen Sie einfach weiter so, dann „kaufe“ ich auch das nächste Update Ihrer „Software“.

Ein „Anwender“.

eleven nine

Ich werde mich stets an den Moment erinnern, an dem mir klar wurde, dass Donald Trump der 45. Präsident der USA werden würde. Ähnlich wie andere Momente: Der Fall der Mauer, der Einsturz der Türme in New York, die Geburten meiner Töchter. Aber es gibt einen Unterschied: diese Ereignisse waren unumkehrbar. Trump hingegen kann ein Tintenklecks in den Geschichtsbüchern werden – wenn wir das wollen.

Denn er wurde nicht von der Mehrheit der Amerikaner gewählt. 80-90% hierzulande wählen nicht AfD. Die jungen Briten wollten in der EU bleiben. Es gibt keinen Grund, den Hasspredigern das Feld zu überlassen. Dann bleibt die Trump-Wahl das letzte Aufbäumen der alten, weißen Männer, bevor sie in der Marginalisierung verschwinden.

Also Schluss mit der Schockstarre, schaut auf das Positive:

So haben die 18-25-Jährigen gewählt. (Quelle: @regendelfin)

So haben die 18-25-Jährigen gewählt. (Quelle: @regendelfin)

Leslie Knope schreibt einen Brief an Amerika, den alle lesen sollten, die noch immer nicht glauben wollen, dass bald ein furzender T.Rex im Weißen Haus sitzen wird. Und was sie dann tun sollen.

„He is the present, sadly, but he is not the future. You are the future. Your strength is a million times his. Your power is a billion times his. We will acknowledge this result, but we will not accept it. We will overcome it, and we will defeat it.“

Zum Beispiel so:

Quelle: @InaRuck

Quelle: @InaRuck

Und so.