JMStV: jugendmedienschutzstaatsvertrackt

Man möchte lachen.

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (wir warnten) wird kippen. Nachdem bereits alle Ministerpräsidenten und die meisten Landesparlamente zugestimmt hatten, scheint der Druck von Netzaktivisten dazu geführt zu haben, dass bei der morgigen Abstimmung im Landtag von Nordrhein-Westfalen der Vertrag durchrasselt.

Man möchte lachen, wäre der Vorgang nicht so grotesk. Der ehemalige CDU-Ministerpräsident Rüttgers hatte das Gesetz bereits unterschrieben, nun stimmt seine Partei aus der Opposition, zusammen mit FDP und Linken, gegen das Gesetz. Als SPD und Grüne dies hören, sind sie auf einmal auch dagegen. Während in allen anderen Bundesländern der Staatsvertrag durchgewinkt wurde, obwohl er nicht nur unsinnig, kontraproduktiv, sondern auch handwerklich schlecht gemacht und leicht zu umgehen ist, sind in NRW nun auf einmal alle dagegen.

Man würde lachen, wüsste man nicht, dass alsbald ein neues Gesetz gezimmert werden wird.

Die nackte Zeit

Nach den gestrigen Vorüberlegungen, was die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) für uns als Blogbetreiber wohl bedeuten mag, hier gleich mal ein nettes Beispiel. Da wir die Webseite Nudemen Clock von Francis Lam sehr hübsch finden, haben wir euch einen Screenshot davon gemacht und auf die Seite verlinkt.

Ist das jetzt für Kinder ab 0 Jahren geeignet? Oder erst ab 6? Ab 12? Ab 16? Oder erst ab 18 Jahren? Sollen wir den Beitrag ab 18 Uhr, 20 Uhr oder 22 Uhr online stellen? Und wann morgens wieder vom Netz nehmen? Gefährdet schon der Screenshot die Kinder oder Jugendlichen? Oder ist erst das bewegte Bild problematisch?

Ähnliche Fragen hat bereits vor einigen Monaten der AK Zensur in einem “Praxistest zum Mitmachen” gestellt. Dabei fällt man reihenweise auf die Schnauze, denn die Altersklassifizierung nach dem Gesetz ist etwas für Experten. Probiert es selber aus.

[Der Presurfer hat’s gefunden.]

JMStV

Kristian Köhntopp geht offline.
VZlog geht offline.
Zündelkind geht offline.
Julian geht offline.
Heise.de berichtet.
Update
GMT Biker geht offline.
Stille Pfade gehen vorläufig offline.
Die Thüringer Blogzentrale geht offline.
Street-Surfers geht offline.
Vortex of imagination geht vorerst offline.
Die Hurkunde denkt drüber nach.
Der Schockwellenreiter wird weitermachen, “bis die erste Abmahnung” eintrudelt und dann abtauchen.

Weitere Blogs und Webseiten werden folgen. Warum?

Die Novelle des Jugendmediendienstestaatsvertrags (JMStV) führt dazu, dass ab 2011 alle Anbieter verpflichtet sind, ihre Webseiten auf jugendgefährdende Inhalte zu überprüfen, sie nach Altersstufen zu klassifizieren und gegebenenfalls eine “Sendezeitbeschränkung” einzuführen. Wer dies nicht tut, läuft unter anderem Gefahr, von Abmahnanwälten abkassiert zu werden.

Liebe 0-, 6-, 12- und 16-jährige Dia-Blog-Leser!

An dieser Stelle möchten wir uns von euch verabschieden. Da wir uns weder in der Lage sehen, unsere Inhalte zu klassifizieren noch eine Sendezeitbeschränkung einführen können, müsst ihr jetzt vorsichtshalber draußen bleiben.

Tschüs.

Nachtrag
Ausführliche Infos zum JMStV finden sich bei t3n.

Nachtrag 1.12.
Einen sehr guten Überblick – auch über andere Reaktionsmöglichkeiten – hat Nils zusammengestellt. Er hält das Depublizieren jedoch für einen “Selbstmord aus Angst vor dem Tod” und für grundfalsch.
Und der Pantoffelpunk fasst gewohnt drastisch-plastisch zusammen: Mein Blog bleibt!

Nachtrag 2.12.
Auf einen ganz anderen Aspekt weist Alvar Freude vom AK Zensur hin: Die Novelle des JMStV spielt großen Anbietern wie der Telekom in die Hände, die damit ihre Erotikseiten (ja, die Telekom bietet sowas an) leichter zugänglich machen kann. Dass da nicht im Sinne des Vertrages sein kann, liegt auf der Hand. Aber das Verfahren kennen wir ja auch schon aus dem Energiemarkt.

Nachtrag 3.12.
Das Netz wäre nicht, was es ist, gäbe es nicht alsbald eine Plattform, auf der man seinen Unmut über den JMStV kundtun kann. jmstv-ablehnen.de heißt die Seite. Voilà.