Elláda (ena)

Wir waren auf dem Weg nach Olympia. Wie winzig wirken die gerade mal 32 Olympischen Spiele der Neuzeit gegen die tausend Jahre währende Geschichte der antiken Spiele. Im Hintergrund hörspielen “Bibi und Tina” in einer elternmarternden Endlosschleife, das Kind hat keine Ohrstöpsel. Im Vordergrund baut sich ein Polizist auf und hebt die Hand. Das Busle rollt auf den Seitenstreifen.

Der Polizist schreitet zur Fahrertür, ich lasse die Scheibe runter und grüße freundlich: “Jassas.” Der Mann spricht nicht, er macht Handbewegungen. Diese hier – nach oben offene Hand mit einklappenden Fingern – signalisiert “Papiere her”. Die Mimik dazu changiert zwischen distinguierter Staatsmacht und gefährlicher Langeweile. Die Papiere, herrje, wo sind die Papiere? Einen Moment sehe ich mich mit gespreizten Beinen und breit gefächerten Armen am Busle festhalten und in aufgerissene Kinderaugen schauen, dann siegt die Routine des weitgereisten Hitchhikers. Im Rucksack!

Ich finde im vorderen Fach das abgegriffene Lederdings, in dem all das Papierene lungert, das man als Fahrzeugführer schlauerweise so bei sich trägt: Ausweis, ASU-Bericht von 2006, Fahrzeugschein, Organspendeausweis für die letzte Motorradausfahrt – und natürlich den Führerschein, auf dem mich ein 18-jähriges Bübchen mit Latzhose anschaut.

Ich fingere Führer- und Fahrzeugschein heraus und händige die Dokumente der Staatsmacht aus: “Parakaló.” Das Beamtenmienenspiel verändert sich von indifferent-wichtig zu wichtig-indifferent. Ich bin nicht sicher, ob er mich auf meinem Führerschein wiedererkennt, mit dem Fahrzeugschein scheint er glücklicher zu sein, denn er liest ihn sehr aufmerksam, geht dann hinter das Busle, um dort irgend etwas zu überprüfen. Wir schwitzen wie spartanische Olympioniken in der Mittagsglut, dann kommt der Mann zurück zum Fenster. Weiterhin wortlos händigt er mir die Papiere zwischen zwei Fingern aus und macht dann die umgekehrte Handbewegung wie vorhin. Handfläche nach unten, die eingebogenen Finger schnellen nach vorne. Weiterfahren! Dann konzentriert er sich bereits auf den nächsten Verkehrsteilnehmer, den er gewissenhaft und unerbittlich kontrollieren wird.


[Quelle: Wikipedia]

Ich stecke die Papiere wieder in das Lederdings und das Lederdings in den Rucksack. Einen Kilometer später fällt mein Auge auf etwas, das im mittleren Handschuhfach liegt: Den Fahrzeugschein. ich krame noch einmal das Lederdings aus dem Rucksack und schaue mir den Fahrzeugschein an, den ich dem Polizisten gab. Den von meinem Motorrad.

POM Fritz mit Catchup

Die Älteren unter euch werden sich an die Serie von Verbrechen erinnern, die sich um uns herum zutrugen, denn ich berichtete jeweils kurz über den gemeinen Diebstahl, den bösen Einbruch sowie den mysteriösen Kriminalfall, der unser kleines Städtchen erschütterte. Für die vorgestern stattgefunden habende Bloglesung “Das Letz niest” habe ich die Vorfälle noch einmal zusammengefasst:

Man meint ja, auf dem Land gebe es keine Kriminalität. Und wenn, dann handele es sich um Hühnerdiebstahl. Oder Kirmesschlägereien. Oder Wilderei.

Schön wär’s. Seit wir in die kleine Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb gezogen waren, hatten wir kurz hintereinander dreimal in die hässliche Fratze des Verbrechens blicken müssen.

So wurde uns im Herbst 2006 ein kompletter Birnbaum entwendet. – Gut, der Baum war alt und abgängig und trug seit Jahren kein Obst mehr. Dennoch: Die traurige Lücke, die wir bei Entdeckung dieser Untat in die makellose, wie an der Schnur gezogenen Reihe unserer elf Streuobstwiesenbäume gerissen fanden, tat weh. Später erfuhren wir, dass die Tat einem fehlgeleiteten Totholzsammler zuzuschreiben war und erhielten überraschenden Ersatz für das verschwundene Gewächs, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Wenig später entwendeten ruchlose Gesellen aus meiner Werkstatt – die zugegebenermaßen nicht abgeschlossen war, aber das war sie die letzten 50 Jahre auch nicht – entwendeten gemeine Diebe also einen Schraubenzieher sowie ein Stemmeisen. Diese Werkzeuge nahmen sie nicht einfach mit, sondern nutzten sie dazu, in der benachbarten Gärtnerei einzubrechen, wobei das eigentlich Interessante daran der Umstand war, dass meine Werkstatt hinterher abgeschlossen war, obwohl es dafür gar keinen Schlüssel gibt – aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte.

Die damaligen Ermittlungen leitete ein junger Polizeiobermeister mit Nachnamen Fritz. Dieser stürzte sich mit Eifer auf den kniffligen Fall, biss sich jedoch letztlich die Zähne an den Hürden der Polizeibürokratie aus, die ihm nach zweiwöchigen intensiven Fallanalysen keine weitere Ermittlungszeit zubilligen mochte.

“Dees isch a Riesasauerei”, erklärte er mir einige Abende später im Bierstadel, einer Restauration, in der er oft anzutreffen war – nicht, weil er dem Alkohol zugetan, sondern vielmehr in der steten, aber vergeblichen Hoffnung war, im dort sich tummelnden Volk den einen oder anderen Verbrecher auszumachen, den er von Fahndungsplakaten herunter auswendig gelernt hatte.

“A Riesasauerei”, betonte er mehrfach, “weil i di Burscha auf jeden Fall gschnappt hett, wenn i di Sonderkommissio hett eirichta dirfa. Abr di Birodroddl …” Er senkte die Stimme. “Die Birodroddl hen doch koi Ahnung, was mir do drausa laischda misset. Und no hoists: ‘Wägen eines Diebesgutes von 23 Eiro 17 kennen wir doch kaine Sonderkommission einrichta.’ Ja Scheißdrägg abr au! – A Porzio Pommfritz!” Letzterer Satz war natürlich in Richtung Küche gerufen und ich musste mir ein Grinsen verkneifen, weil dem Guten offensichtlich noch niemand gesagt hatte, dass die Abkürzung seiner Berufsbezeichnung “Polizeiobermeister” – also POM – in Verbindung mit seinem Nachnamen Fritz eben jene soeben bestellte Speise ergab: Pomm Frites.

Am nächsten Tag war ich froh, ihn diesbezüglich nicht aufgeklärt zu haben, denn wir benötigten erneut POM Fritzens Hilfe. Auch diesmal: ein Diebstahl.

Dazu muss ich etwas ausholen. Unser ein knappes Jahr zuvor geborenes Kind hatte unseren gewohnten Tagesablauf empfindlich in Unordnung gebracht. Damit war zu rechnen, denn wir hatten uns vorab informiert. Aber spezielle Details in der Lebensgestaltung der Spezies Baby werden in der Literatur systematisch ausgeblendet. Eines davon ist das Thema Ausscheidung.

Uns der Nachhaltigkeit verpflichtete Ökoschrotmüslis war von vornherein klar, dass Plastikwindeln auf gar keinen Fall in die Mülltüte kämen. Jeder pampersverpackte Säugling produziert im Laufe seiner Trockenlegung einen Müllberg von einer halben Tonne. Stoffwindeln waren die angesagte Alternative und zum guten Glück gab es vor Ort sogar einen Windelservice, der von einer sozialen Einrichtung betrieben wurde. Perfekt.

Tatsächlich hält sich die Sauerei nämlich in Grenzen, legt man zwischen Babypopo und Windel ein Trennblatt, das von grober Darmwurst über schlanke Böbbele bis hin zu feinster Flitzkacke alles geschickt absorbiert. So bleibt die Windel im großen und ganzen scheißfrei, der restliche, gelbflüssige Ausscheidungsanteil versickert tief im windeligen Baumwollstoff.

Da der Windeldienst einmal wöchentlich die Altlast abholte und gleichzeitig frischen Stoff anlieferte, wurde das kontaminierte Material in einer handelsüblichen Plastiktonne mit einem Sicherheitsbügel zwischengelagert. Diese Tonne stellten wir an Mittwochen morgens an die Straße und irgendwann zwischen zehn und zwölf kam der Zivi vorbei und tauschte die Tonnen aus. Bis auf jenen warmen Februarmorgen, an dem der junge Mann sein Busle verließ und ganz gegen seine Gewohnheit zur Tür kam und klingelte.
“Henn sie vergessa, die Tonne nauszumstella?”, fragte er.
“Nein”, sagte meine Frau.
“Do isch aber koine”, sagte der Zivi.
“Dann ist sie weg”, sagte meine Frau.
“Aber wer klaut denn verschissene Windla?”, fragte der Zivi.

Exakt die gleichen Worte wählte auch der POM Fritz, als ich ihm die Sache vortrug, denn wir hatten nicht vor, den unfassbaren Diebstahl einfach hinzunehmen.

“Aber wer klaut denn verschissene Windla?”, fragte der POM Fritz.
“Ich weiß es nicht”, erwiderte ich fröhlich, denn an dieser Stelle konnte ich ein Wortspiel unterbringen, auf das ich mächtig stolz war: “Ich weiß es nicht, aber diese Tat war mit Sicherheit eine ruchlose.” Brüller, oder?
Der POM Fritz war ins Grübeln geraten.
“Hennt Sie jemand gsäa?”
“Nein.”
“Hennt Ihre Nochbra jemand gsäa?”
“Das weiß ich nicht.”
“No gang i mol ermittla.”

POM Fritz setzte seine Dienstmütze auf, drehte das Schild an der Polizeidienststellentür um, auf dem “In dienstlicher Mission unterwegs” geschrieben stand und pfiff dem Hund, der wirklich und wahrhaftig “Kätschap” gerufen wurde. Das Tier war nämlich ein englischer Deutscher Schäferhund und sein Name kam von “to catch up”, was ja soviel heißt wie “aufholen, einholen”, mithin eine originäre Polizeidiensthundaufgabe.

POM Fritz und Catchup befragten die einzigen Zeugen des Straßengeschehens, nämlich das Rentnerehepaar schräg gegenüber, das seinen Stammplatz am Fenster nur zu Toilettengängen oder Schlafzwecken verließ. Indes war der Erfolg des Interviews schmal, wie er mir anschließend berichtete:
“Die henn gsäa, dass d Müllabfuhr do war, dr Boschtler, dr Gasmann und dr Gedränkehendler. Dr Pfarrer hod an Hausbsuch gmacht, dr Sportvarai hots Altbabier g’hoolt und dr Oberbirgermaischder war bei Eschingers näbenaan wägem Einanoinzigschda ond dees sei doch a Sauarei, bei ihnen täte där blos an graden Jubeltagen kommen. Der Nachbor schreg driba häbe wieder falsch geparkt und sain Hond häbe bei ihnen in den Garten gmacht. Bloß: wann – was – war – do drüber henn se sich so verschrdridda, dass se jez gar nix mee saged. Aber …”

POM Fritz legte eine bedeutungsschwangere Pause ein.
“Ja?”
“… i han a Theorie.”
“Und zwar?”
“Dr Schörlogg Haums hot amol gsagt: ‘Mein Nachdenken beginnt immer mit der Annahme, dass das, was ibrigbleibt, wenn Sie alles andere, was unmeglich ischd, ausgeschlossen haben, so unfassbar es einem auch erscheint, die Wahrheit sein muss.'”
“Klingt plausibel.”
„Wenden wir also die so genannte Eliminationsmethode an.
D Millabfuhr kommt am Donnerschdag. Heit isch Mittwoch. Domit ischd Millabfuhr klihn.”
“Einwandfrei.”
“Dr Boschdler kommd enteder vor zehne oder nach zwölfe, weil er dazwischa beim Küfer hoggt und Zwetschgaschnaps brobiert. Dieses Alibi isch sozusagen verbrieft.”
“Stimmt.”
“Beim Gasmann wois i, dass der graad wäga sainer faina Noos eigschdellt worda isch, damitr Gaslecks schnell findet. Der kann omeglich a verschissene Windeltonne klaut han. Oomeeglich.”
“Wenn Sie es sagen.”
“Jez zum Gedränkehendler. Des isch da gröschde Entaklemmer weit und breit. Der hot sain Laschdwaga immer überlada und sogar im Führerhaus no a Fässle Moschd. Der hett gar koin Blatz fir Windla.”
“Exzellent.”
“Dr Pfarrer. – Jo, den han i aigentlich am maischda im Verdacht g’het. Weil der doch sälber fünf Kinder hot, und die Drilling no im Saiglingsalder. Aber i han erfahra, dass der Hausbesuch beim alda Nill war. Und der beigt dem Pfarrer sai Fahrrad immer so voll mit Obschd ond Gmies, dass der niemols a Windeltonne mitnehma kenna hett.”
“Jetzt wird’s aber eng mit den Verdächtigen.”
“Schdemmt. Dr Sportvarai hots Altbabier wie immer am Samschdich g’hoolt.”
“Genau. Da war ich im Garten.”
“Dr aangäblich falschparkende Nochbor isch ledsches Johr wegzoga und sain scheißverdächtiger Hund isch scho vor drei Johr gschdorba.”
“Richtig. Aber wer bleibt denn dann noch übrig?”
“Dr Oberbirgermaischder. Wie Schörlogg Haums sagt: ‘Das, was ibrigbleibt, wenn Sie alles andere, was unmeglich ischd, ausgeschlossen haben, das muss die Wahrheit sein, so unfassbar es einem auch erscheint.'”
„Aber – das Motiv?“
„Windelfetischismus? Wahlkampfmadrial? Wer wois scho, was im Kopf von so ma Bolidiger rumgoht.“
Er wickelte sich die Hundeleine fester um die Hand und räusperte sich:
“I gang dann mol aufs Rathaus. I glaub, do gibt’s bald a Versetzung.”

Versetzt wurde dann allerdings der POM Fritz. Mit Catchup.

High Voltage oder: Ich war jung und brauchte das Geld

Mein erstes Busle hieß Mumpfel, weil das Bandmaskottchen Mumpfel hieß. Allerdings war das Bandmaskottchen Mumpfel ein Nilpferd, das Busle Mumpfel aber ein blauer VW-Bus der Baureihe T2. Der T2 wurde von 1967 bis 1979 gebaut, hatte Heckmotor und Hinterradantrieb und wurde bei langen Steigungen durch Öffnen der Heckklappe gekühlt. Nicht völlig überraschend ereilte ihn eines schönen, warmen Frühlingstages auf dem Weg zur Musikmesse in Frankfurt der Kolbenfresser. Der Schrottgott sei seiner Seele und seiner nur selten funktionierenden Standheizung gnädig.

Das ist aber nicht das Wetter zur Geschichte, die ich erzählen möchte. Die Geschichte, die ich erzählen möchte, benötigt einen kalten, windigen Herbsttag, schlechte Lichtverhältnisse und überhaupt ein so ungemütliches Wetter, dass man ihm die “keinen-Hund-vor-die-Tür-schicken”-Note geben würde. Eine glatte Kachelmann-Sechs.

2.000 Mark kostete Mumpfel und das war so ungefähr alles, was ich damals besaß â€“ oder besser gesagt: Was die Volksbank Mittlere Lauchert mir zurückzuzahlen zutraute. Nachdem ich das erste Mal vollgetankt hatte, war mein Konto bis an die Schmerzgrenze meines Bankberaters überzogen. Denn kurz zuvor hatte ich von meinem allerallerletzten Geld bei Conrad Elektronik eine endgeile Automusikanlage erstanden (damals hieß es allerdings nicht “endgeil”, sondern “brudal glasse”), mit amateur-fachmännischer Sicherheit die entscheidenden Kabel zwischen Sicherungskasten, Verstärker und Boxen gelegt und war an einem wunderbaren, goldenen Oktobermorgen bei der ersten Ausfahrt mit diesem Wunderwerk der Technik bei der optimalen Lautstärke von zehn und den Klängen von „Highway to Hell“ in die erste Polizeikontrolle meines Lebens gerauscht.

Es war vielleicht der gewollten Bedienunfreundlichkeit des Hightechgerätes geschuldet, dass es mir nicht sofort gelang, die Lautstärke auf ein tinitus-unverdächtiges und damit polizistenohrtaugliches Niveau herunterzuschrauben, was der Situation ein von Anfang an etwas unfreundliches Gepränge einhauchte. Schließlich gelang es mir, mit einem kühnen Griff ins Kabelgewirr Bon Scotts Stimme zum Schweigen zu bringen.

Ob dies die Initiation des nun folgenden Elektro-Desasters war, ließ sich später nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Tatsache war jedoch, dass ich die Polizeikontrolle mit einem DIN-A4-formatigen Papier wieder verließ, das den großbuchstabigen Titel “Mängelbericht” trug. Es beinhaltete im Wesentlichen, dass Mumpfels Rücklichter ein Totalausfall waren. Gnädigerweise durfte ich weiterfahren – nicht ohne die freundliche Ermahnung, direkt und am besten tagsüber die nächste Fachwerkstätte meines Vertrauens aufzusuchen, was ich gerne versprach (aber heimlich zu ignorieren beabsichtigte). Nichtsdestotrotz dräute der Termin der Wiedervorführung bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle.

Als ungeübter Schrauber war ich mir bombensicher, die havarierte Stelle im Sicherungskasten schleunigst ausfindig gemacht zu haben. Ungeschickt war dabei weniger der Umstand, dass man bei Tests sich stets aus dem Fußraum des Fahrzeugs herauswinden und das Busle umrunden musste, um festzustellen, dass es nicht funktionierte – nicht dies war das Hauptproblem, sondern – wie sich erst nach und nach herauskristallisierte – meine vollkommene Ahnungslosigkeit von den inneren Vorgängen der T2-Busle-Elektrik.

Kurz: Der Kontrolltermin rückte näher, das Rücklicht aber verweigerte seinen Dienst. Was blieb mir anderes übrig, als eine Woche vor dem drohenden Aus in die Werkstatt zu fahren? Der Mechaniker schaute meinen Mumpfel zweifelnd an, bis ich mein Anliegen formulierte. “Des hemmer glei”, versprach er und verschwand im Fußraum. Eine halbe Stunde später tauchte er mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck wieder auf und schickte mich nach Hause.

Zwei Tage später gestand er, dass der Fehler nicht zu finden sei und die einzige Lösung des Problems darin bestünde, den kompletten Kabelbaum – ein Wort, das ich damals zum ersten Mal hörte, und das im wesentlichen das elektrische Rückgrat des Busles zu beschreiben versucht -, den kompletten Kabelbaum „rauszomzieha ond nei zom vrlega“. Das allerdings war weder in der polizeilich angedachten Zeit zu schaffen noch mit meinem Restetat zu finanzieren.

Nun wird es Zeit, einen kalten, windigen Herbsttag, schlechte Lichtverhältnisse und überhaupt ein so ungemütliches Wetter, dass man ihm die „keinen-Hund-vor-die-Tür-schicken”-Note geben würde – kurz: eine glatte Kachelmann-Sechs vor unserem geistigen Auge heraufziehen zu lassen. Denn dies war das Wetter, das ich mir für die Wiedervorführung meines Busles bei meinen Freunden und Helfern herausgesucht hatte.

Auch die anderen Variablen meines gesetzbrecherischen Tuns hatte ich mit hoher krimineller Energie ausbaldowert:

1. Später Freitagnachmittag, kurz vor Dienstschluss.
2. Eine Rosenhecke auf der Fahrerseite.
3. Als nächstliegende Polizeidienststelle kam nur das so genannte „Bullenhochhaus“ in Derendingen in Frage, das für seine miserable Parksituation bekannt war.
4. Ein hinreichend langes Stück einer Dachlatte.

Der Jungpolizist mit beginnendem Oberlippenbart, der den Auftrag erhielt, mein Busle abzunehmen, war anhand seiner Discoschühchen augenscheinlich als wochenendfertig einzuordnen. Gut. Er war nicht sehr erfreut, als ich ihm mitteilte, wir müssten ein Stückchen gehen. Gut. Seine Miene glättete sich wieder, als ich ihm anbot, mich an den Rosendornen vorbei zu zwängen, um das Licht einzuschalten. Trotz des langsam einsetzenden Regens blieb ich draußen stehen und steckte von dort aus den Schlüssel ins Zündschloss. So konnte ich nicht in Verdacht geraten, irgend etwas anderes als das Geforderte zu tun. „Mached se mol des Rigglicht o“, hieß es nun von hinten. Ich drehte den Schlüssel herum, und die zwischen Fahrersitz und Bremspedal festgeklemmte Dachlatte erzeugte die perfekte Illusion funktionierender Rücklichter – die in Wirklichkeit nur Bremslichter waren. „Danke!“ ertönte es von hinten, ein hastiger Kugelschreiberstrich machte ein Häkchen auf dem Papier. Mumpfel. War. Gerettet.

Auf dem Rückweg trällerten meine australischen Gleichstrom-/Wechselstrom-Freunde “Dirty Deeds Done Dirt Cheap”.

PS: Dieser Text wurde zuerst vorgelesen und – heute – nachträglich veröffentlicht. Eine Premiere.

Verhältnisse (18)

Invaliditätsgrad bei Verlust oder vollständiger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane:*

  • Daumen: 20%
  • Zeigefinger: 10%
  • Mittelfinger: 5%

Verblüffend: Dieses Verhältnis ändert sich in eklatanter Weise, zeigt man eines der beschriebenen Körperteile fremden Leuten.**

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* Aus den Versicherungsbedingungen einer Kfz-Schutzbriefversicherung

Dachhund

Schreck am Montagmorgen: Auf dem Garagendach vom Nachbarhaus liegt ein Hund.

Dachhund 1

Er muss wohl den Berg heruntergekommen sein und den Weg zurück nicht gefunden haben. Die Kollegin holt Wasser, ich klettere rauf und stelle ihm das Trinken hin. Er schlabbert ein bisschen und legt sich wieder hin.

Ich rufe die Nachbarin an. Ihr gehört der Hund nicht. Sie weiß auch nicht, wem er gehören könnte und schon gar nicht, wie man ihn da runter bringt.

Ich klettere nochmals rauf und versuche herauszufinden, auf welchem Weg man den Hund bergen könnte. Aber an der Bergseite ist dichtes Dornengestrüpp, ein Maschendrahtzaun und eine hohe Steinmauer, über die er heruntergesprungen sein muss.

Dachhund 2

Die Nachbarin fleht mich an, das Dornengestrüpp nicht zu beschädigen. Es hielte die Einbrecher ab. Ich bringe dem Hund mein Frühstück, das er allerdings verschmäht und rufe die 112.

“Feuerwehr-Notruf-Zentrale?”
“Ich weiß ja nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin, aber bei uns steht ein Hund auf dem Garagendach.”
“…”
“Hallo?”
“Äh … wie ist der denn da raufgekommen?”
“Keine Ahnung.”
“Und wie lange ist der da schon oben?”
“Keine Ahnung, vielleicht das ganze Wochenende.”
“Ein Hund auf dem Garagendach.” (Lachen im Hintergrund.) “Ja, da schicken wir am besten mal die Polizei vorbei.”
“Prima.”

Eine halbe Stunde später kommt die Polizei angerauscht. Ein Pärchen. Mir fällt auf, dass die Frau keinen Schnäuzer hat.

“Haben Sie angerufen wegen dem Hund auf dem Garagendach?”
“Ja.”
“Wo ist er denn?”
“Na – da oben.”

Ich bitte die Polizisten auf den Balkon, von wo sie eine bessere Aussicht haben.

“Äh … wie ist der denn da raufgekommen?”
“Keine Ahnung.”
“Und wie lange ist der da schon oben?”
“Keine Ahnung, vielleicht das ganze Wochenende.”
“Ein Hund auf dem Garagendach.” (Beide lachen.) “Ja, da rufen wir am besten mal bei der Zentrale an.”
“Prima.”

Der Polizist zieht ein einem Riesenknochen ähnelndes Gerät aus der Tasche – der Hund zwinkert nur ein bisschen – und funkt die Zentrale an. Wir hören mit.

“Zentrale?”
“Hier F16-37. Also das mit dem Hund stimmt wirklich: Der steht hier auf dem Garagendach.”
“…”
“Hallo?”
“Äh … wie ist der denn da raufgekommen?”
“Keine Ahnung.”
“Und wie lange ist der da schon oben?”
“Keine Ahnung, vielleicht das ganze Wochenende.”
“Ein Hund auf dem Garagendach.” (Lachen im Hintergrund.) “Ja, da rufen wir am besten mal im Tierheim an.”
“Prima.”

Ich stelle mir vor, wie die Zentrale im Tierheim anruft. Den Text kenne ich schon:

“Hier ist das Tierheim.”
“Hier spricht die Polizei. Können Sie mal kommen? Wir haben hier einen Hund auf dem Garagendach.”
“…”
“Hallo?”
“Äh … wie ist der denn da raufgekommen?”
“Keine Ahnung.”
“Und wie lange ist der da schon oben?”
“Keine Ahnung, vielleicht das ganze Wochenende.”
“Ein Hund auf dem Garagendach.” (Lachen im Hintergrund.) “Ja, da schicken wir am besten mal unseren Herrn W. vorbei.”
“Prima.”

Eine halbe Stunde später hält das Busle vom Tierheim und Herr W. steigt aus. Er scheint Erfahrung mit Hunden auf Garagendächern zu haben, denn er fragt gar nichts, sondern stellt einfach eine Leiter hin und klettert hoch.

dachhund3

Dann stellt sich heraus, dass Herr W. doch keine Erfahrung mit Hunden auf Garagendächern hat, denn er führt weder Abseilgerätschaften noch einen Maulkorb mit sich. Er bittet um Mithilfe, worauf ich abermals das Dach erklimme und den Hund beruhigend streichle, während Herr W. in seinem Busle nach Seilen und Gurten kramt.

dachhund4

Gemeinsam basteln wir eine Hundeseilbahn und lassen den gar nicht so leichten Hund vorsichtig zu Boden schweben. Die Zuseherschaft löst sich auf und Herr W. bittet mich um meine Unterschrift auf einem Formular. Oder ob ich den Hund behalten wolle? Ich verneine, worauf er mir verrät, dass es sich wohl um einen Terrier der Sorte Staffordshire handele. Dann entschwindet er mit dem Tier im Schlepptau.

Ich eile ans Internetz und wikipediae “Staffordshire”. Das liegt in den englischen Midlands und beherbergt Ortschaften mit so idyllischen Namen wie Blythe Bridge, Featherstone, Little Haywood und No Man’s Heath. Robert Plant und Robbie Williams sind dort beheimatet. Und:

“Maskottchen und Stolz der Grafschaft ist der Staffordshire Bullterrier. Beinahe jedes Wochenende finden in der Gegend Ausstellungen statt und diese Rasse gehört zum festen Straßenbild.”

Was hier verschwiegen wird: Die Viecher dürfen nach Deutschland nicht importiert werden, weil sie als gefährlich gelten, im schweizerischen Kanton Wallis sind sie sogar komplett verboten. Und wenn jetzt ein Schlaumeier einwendet, dass es sich ganz klar um einen American Staffordshire Terrier handele: Die stehen auch auf der Liste.

PS (damit unter den Lesern dieser Kolumne keine Besorgnis um mein Wohl und Wehe ausbricht): In England und den USA gelten diese Hunde als ausgesprochen kinderliebe Familienhunde.

PPS: Schreck am Mittwochmorgen: Auf dem Garagendach vom Nachbarhaus steht eine Katze. Aber die steht da oft. Da ist sie sicher sicher vor Hunden.

Kid-Cuts (20)

LegopolizeiGestern zum Brunch bei Freunden. Anwesend auch ein Polizist, der nur den Frühstücksteil mitnehmen konnte, weil er anschließend Dienst schieben musste. Er versprach indes, hernach im vollen Ornat auf Streife nochmal vorbeizuschneien. Was er dann zum Entzücken der anwesenden Zwerge auch tat. Unser Kind, das schon seit langem eine hohe Affinität zu lautstarken Martinshörnern und blauen Blinklichtern entwickelt hat, durfte Schlagstöcke befühlen, eine Unfallnotkiste ausräumen, sich die Dienstmütze ins Genick schieben und das Blaulicht bestaunen. Wieder in die Wohnung zurückkehrend, entspann sich folgender Dialog zwischen beiden:
Polizist: Gell, des war schee, des Blaulicht?
Kind: Tatütata …
Polizist: [hört entzückt zu]
Kind: … die Feuerwehr!