Neu im Regal (27)

Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung, Hamburg (Hoffmann und Campe) 2012. 239 Seiten, 19 Euro 90.

Lieber Wolf Haas,

als großer Fan Ihrer Erzählkunst (hier Lobhudeleien über die Brenner-Romane und „Das Wetter vor 15 Jahren” einfügen) hat mich Ihr neuer Roman doch etwas enttäuscht. Dass Sie das draufhaben, große Bögen zu spannen, klug und selbstreflexiv zu erzählen und Sprach-Operationen quasi am offenen Herzen durchzuführen (Scheiß-Metapher, nochmal überlegen, ob das so drin bleiben soll), wissen wir doch längst. Aber musste das diesmal (hier Kurzabriss rein von der Benjamin Lee Baumgartner-Liebesgeschichte und dem Rinderwahn, der Schweine- und Vogelgrippe, der Vatersuche, dem ganzen Typographie-Gefunze, den chinesischen Schriftzeichen etc., evt. den ganzen Klumpatsch die Natti schreiben lassen?) gar so ausgestellt werden? Das hat ging mir doch etwas auf den Senkel (zu flapsig? die Nerven vielleicht besser? hm…). Aber sonst: Schon ganz ok das Buch.

(noch schleimige Grußfloskel rein, ergebenst, oder so)
Wolfgang Brenner

Kino in der Liste (66)


Die Kirche bleibt im Dorf (D 2012)

  • Plot in a nutshell: Eine Oma stirbt, zwei Dörfer streiten, ein Amerikaner hegt dubiose Pläne.
  • Bayern kann Komödie (siehe Marcus H. Rosenmüller).
  • Warum eigentlich nicht Schwaben?
  • Dachte sich die in Bremen (!) geborene, in Pforzheim (!!) aufgewachsene und jetzt in Hamburg (!!!) lebende Ulrike Grote.
  • Und drehte im Badischen (!!!!) diesen Schwabenkomödienversuch.
  • Dafür packte sie die Brechstange aus.
  • Kaum ein Satz ohne “Scheißdreck”-Gefluche.
  • Kaum eine Einstellung ohne hysterische Traktorfahrerei.
  • Kaum eine Sequenz ohne nervigen Tuba-Blues-Soundtrack.
  • Fazit: Hysterischer Dorfschwank, der im Bauerntheater besser aufgehoben gewesen wäre. Oder im Fernsehen. Huch, da läuft das ja auch bald.

Neu im Regal (25)

Wolfgang Herrndorf: Sand. Hamburg (Rowohlt Berlin) 2011. 479 Seiten, 19 Euro 95.

Er wird von einem merkwürdigen Nagetier gebissen, kriegt einen Brieföffner durch die Hand gerammt, wird gefesselt, geknebelt, geschlagen, elektrogeschockt und in einer Schlammpfütze festgepflockt. Aber er weiß nicht, wer er ist. Und der Leser sehr lange auch nicht, wenn er es denn überhaupt je rauskriegt.
Ein Amnestiker ist in Wolfgang Herrndorfs Roman „Sand” auf der Suche nach seiner Identität. Und er ist nicht der einzig Suchende in diesem irren, tobenden Roman, den man zu Anfang gar nicht so recht verorten kann. Denn was soll das sein: ein literarischer Agententhriller? Und was ist das überhaupt für ein Setting: Nordafrika, Wüste, 1972?
Nach seinem eher leicht verdaulichen „Tschick” hat der Berliner Autor Herrndorf etwas mehr Stacheldraht gespannt, den es anfangs zu überwinden gilt: viele Charaktere, höchst unvertrautes Terrain, mit Agenten und Hippies, einer Atomdrohung, einer Oase, einem rätselhaften Vierfachmord und einem Koffer voller Geld. Und mitten drin dieser Mann ohne Gedächtnis, dem auf der Suche nach seiner Identität so böse mitgespielt wird.
Die gute Nachricht ist aber: „Sand” ist zwar höchst komplex und bisweilen auch kompliziert, aber nie unlesbar. Geschrieben von einem, der mit größter Sorgfalt alles durchkomponiert, Hinweise versteckt und Spuren gelegt hat. Denen kann man folgen, oder es auch bleiben lassen und sich an den Dialogen, präzisen Beschreibungen und der auf ihr Ende zutrudelnden Hauptfigur erfreuen.
Trottel sind viele unterwegs in diesem Buch. Und ein Shakespeare-Zitat aus „Macbeth” weist am Anfang des 57. Kapitels den Weg: „A tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing”. Diese verzweifelte Suche nach einem Sinn, den es ja ebenso gut auch gar nicht geben kann, liefert die komischsten, aber auch die existenziell bedrängendsten Passagen, die verzweifeltsten und aussichtslosesten Momente des ganzen Bücherjahres.
Die Coen-Brüder wären gut beraten, sich hierfür schnellstmöglich die Filmrechte zu sichern.

Kino in der Liste (46)

Groupies bleiben nicht zum Frühstück (D, 2010)

  • Plot in a nutshell: Boy meets girl. Boy is famous. Girl doesn’t know at first. Then she does. Trouble
  • Berlin mal wieder
  • Und “Berlin, Berlin” auch mal wieder
  • Denn für die Charaktere mussten mal wieder Lolle und Konsorten herhalten
  • Also: Zappelig planlose Hauptdarstellerin, berlinernde Schnodderschnauzen-Bestfreundin etc. pp
  • Die anfangs pflichtschuldig abgearbeitete Lovestory kriegt aber die Kurve
  • Entwickelt sich noch, aber leider zu spät, zu einer sympathischen Kiste
  • Und noch ein kleines Plus: die für den Film im Reagenzglas gezeugte Band “Berlin Mitte”
  • Macht zwar belanglose Mucke (Soundgarden für Arme)
  • Kriegt beim nachgestellten Auftritt doch so was wie Konzertatmo hin
  • Fazit: Marc Rothemund (“Sophie Scholl”) teilverschenkt die Chance einer anständigen deutschen romantischen Komödie

Kino in der Liste (44)

Da! Da war was!

Da! Da war was!

Paranormal Activity (USA 07)

  • Plot in a nutshell: Pärchen dokumentiert mit Videokamera 21 Nächte lang, was in seinem Schlafzimmer passiert.
  • Nein, das ist kein Porno.
  • Sondern eine Geldmachmaschine in Filmform.
  • Regisseur Oren Peli zeigt, wie man aus 15.000 $ über 100 Millionen macht.
  • Mit dem in seiner eigenen Wohnung gedrehten Film, der das Kunststück vollbringt, seine Form (eigendokumentatorische Handkamera) komplett plausibel erscheinen zu lassen und trotzdem höllisch spannend zu sein (ganz im Gegensatz z.B. zu “Cloverfield”.
  • Dieser Kritik gelingt das nicht, weil der letzte Satz zu lang für “Kino in der Liste” war.
  • Ist der Hype um den mutmaßlich gruseligsten Film aller berechtigt?
  • Ja, ja, ja und auch nein.
  • Ja, weil er im Gegensatz zum Porno-Horror der SAW-Reihe physische Gewalt (fast) komplett ausblendet und einem durch kleinste Kleinigkeiten die Nackenhaare wie Eiszapfen aufstellt.
  • Ja, weil es nichts Schlimmeres gibt, als wenn das Grauen zu dir ins Schlafzimmer kommt (im Gegensatz zum “Blair Witch-Project”)
  • Ja, weil man als Zuschauer immer mit der gleichen Versuchsanordnung konfrontiert wird (Kamera beim Einschlafen auf Stativ, FastForward zu den wenigen Momenten, in denen nachts was passiert). Und das einen immer noch fertiger macht.
  • Nein, wenn man durch tratschige Weibsbilder hinter einem im Kino aus der Fiktion gerissen wird und das plötzlich auch total albern findet.
  • Fazit: Schockierend einfacher und ebenso effektvoller Horrorstreifen

nopron

Kino in der Liste (43)

Wickie und die starken Männer

Jetzt, wer ist hier das Mädchen?

Wickie und die starken Männer
(D, 09)

  • Plot in a nutshell: Kleiner Rothaarbengel hilft seinen dummbatzigen Wikingerkollegen, die Flake-Kinder aus schurkischen Händen zu entreißen.
  • Bully Herbig macht erstmals keine Parodie. Das muss schon stutzig stimmen.
  • Stattdessen wanzt er sich kreuzbrav und sehr pomadig ans Original ran.
  • Das dürfte selbt einem Zweijährigen nur ein müdes Gähnen abringen.
  • Der so anarchisch-humorigen Zeichentrickserie kann er aber nichts hinzufügen.
  • Außer einer selten dämlichen neuen Figur, die er auch noch selber spielt.
  • Wie es richtig gegangen wäre?
  • Mehr im Stile der gelungenen Kurzauftritte von Jürgen Vogel und Fred Feuerstein.
  • Die Debatte “Ist Wickie jetzt ein Junge oder ein Mädchen?” heizt er zusätzlich an.
  • Mit einem Hauptdarsteller, der mädchenhafter ist als seine Freundin Ylvi.
  • Armer Jonas Hämmerle (Wickie-Darsteller), wir jetzt wohl in der Schule veralbert.
  • Fazit: Einfallsarmer und biederer Bully-Kotau vor Zeichentrick-Klassiker

Wickie Hustenbonbons