Eine Schnäppchenjagd am anderen Ende abendländischer Werte.
Eine Familiengeschichte, in der Predigten geschmuggelt werden.
Eine Fahrt mit der S1, Bernd Stelter und einer Gitarren-Frau.
Eine Lebensgeschichte, die acht Korn lang dauert.
Ein Schönheitschirurg, der sich im Meer spiegelt.
Ein Gedicht auf eine Kiste Warsteiner.
Eine schlimme Frauengeschichte.
Ein blaues Lapislazulimädchen.
Eine böse Frauengeschichte.
Eine krumme Schnittgerade.
Ein Klagelied vom Nöhl.
Und der Jaulwinde.
So bunt, verwirrend, anregend und spannend wie diese Auswahl seiner Inhalte ist das “Richtungsding”, eine neue “Zeitschrift für Gegenwartsliteratur”, die in Mülheim an der Ruhr erscheint. Herausgeber ist der “Dichtungsring Ruhr”, dessen Ziel es von Anfang an ist, “sich gegenseitig zu lesen und anzuregen”. Mithilfe seines durch einen Versprecher wortspielerisch benamsten Zentralorgans können dies nun auch andere Leserinnen und Leser tun. Das Konzept dazu ist einfach. Einfach anspruchsvoll:
“Das Richtungsding hat sich einzig zum Ziel gesetzt, lesenswerte Texte in einem Heft zu versammeln. Nicht mehr und nicht weniger.”
Die Herausgeber Jan-Paul Laarmann und Harald Gerhäußer stellen das Richtungsding vor (Video nach dem Klick).
Dass dabei etwas mehr auf den Inhalt und ein bisschen weniger auf die Form geachtet wurde, ist naheliegend. Das macht das Heft zwar einerseits sympathisch, hinterlässt aber andererseits einen semiprofessionellen Nachgeschmack. Denn die Texte, die einen wahlweise in eine vergangene Zeit ziehen lassen (Stephan Hermsen: Das Ende der Welt), ein farbiges Kopfkino veranstalten (Leonie Viola Thöne: Das Lapislazulimädchen), ein nickendes Schmunzeln hervorrufen (Gabriel Knobel: Noch & Nöcher) oder einfach brutal umhauen (Jasamin Ulfat: Nur einmal mutig gewesen), haben das nicht verdient. Verdient haben sie ein Layout, das ihnen Luft zum Atmen lässt, eine Typographie, die nicht gewollt unprätentiös und damit ungewollt prätentiös ist, sowie eine intensivere Korrekturphase. All das machte das Heft nicht weniger lesens-, sondern mehr liebenswert.
Weil ich nur zu gut weiß, wieviel Arbeit in einem solchen Projekt steckt, und wie viel mehr man hätte falsch machen können, möchte ich diese Kritik gerne weniger rüde klingen lassen. Vielleicht am besten mit einem Lob? Ich probier’s mal so:
Jan-Paul Laarmann sagt im Video:
“Das Schöne ist, wir haben eigentlich keine Fallhöhe.”
Das stimmt nun nicht mehr.
Info
Das Richtungsding wird herausgegeben von Harald Gerhäußer und Jan-Paul Laarmann und kann zum Preis von 5 Euro (zzgl. Porto) bestellt werden. Weitere Informationen
im Web: www.richtungsding.com
im Blog: richtungsding.posterous.com
bei Twitter: @richtungsding
bei Facebook: Dichtungsring Ruhr
Weitere Kritiken:
Der Westen, 19.7.2010
Wer heute abend in Oberhausen oder Umgebung weilt und noch nichts vorhat: Das Richtungsding ist zu Gast bei “gnadenlos“, Fabrik K14, Lothringerstraße 64, Oberhausen. Die Lesung beginnt um 19 Uhr.