POM Fritz mit Catchup

Die Älteren unter euch werden sich an die Serie von Verbrechen erinnern, die sich um uns herum zutrugen, denn ich berichtete jeweils kurz über den gemeinen Diebstahl, den bösen Einbruch sowie den mysteriösen Kriminalfall, der unser kleines Städtchen erschütterte. Für die vorgestern stattgefunden habende Bloglesung “Das Letz niest” habe ich die Vorfälle noch einmal zusammengefasst:

Man meint ja, auf dem Land gebe es keine Kriminalität. Und wenn, dann handele es sich um Hühnerdiebstahl. Oder Kirmesschlägereien. Oder Wilderei.

Schön wär’s. Seit wir in die kleine Stadt am Fuße der Schwäbischen Alb gezogen waren, hatten wir kurz hintereinander dreimal in die hässliche Fratze des Verbrechens blicken müssen.

So wurde uns im Herbst 2006 ein kompletter Birnbaum entwendet. – Gut, der Baum war alt und abgängig und trug seit Jahren kein Obst mehr. Dennoch: Die traurige Lücke, die wir bei Entdeckung dieser Untat in die makellose, wie an der Schnur gezogenen Reihe unserer elf Streuobstwiesenbäume gerissen fanden, tat weh. Später erfuhren wir, dass die Tat einem fehlgeleiteten Totholzsammler zuzuschreiben war und erhielten überraschenden Ersatz für das verschwundene Gewächs, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Wenig später entwendeten ruchlose Gesellen aus meiner Werkstatt – die zugegebenermaßen nicht abgeschlossen war, aber das war sie die letzten 50 Jahre auch nicht – entwendeten gemeine Diebe also einen Schraubenzieher sowie ein Stemmeisen. Diese Werkzeuge nahmen sie nicht einfach mit, sondern nutzten sie dazu, in der benachbarten Gärtnerei einzubrechen, wobei das eigentlich Interessante daran der Umstand war, dass meine Werkstatt hinterher abgeschlossen war, obwohl es dafür gar keinen Schlüssel gibt – aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte.

Die damaligen Ermittlungen leitete ein junger Polizeiobermeister mit Nachnamen Fritz. Dieser stürzte sich mit Eifer auf den kniffligen Fall, biss sich jedoch letztlich die Zähne an den Hürden der Polizeibürokratie aus, die ihm nach zweiwöchigen intensiven Fallanalysen keine weitere Ermittlungszeit zubilligen mochte.

“Dees isch a Riesasauerei”, erklärte er mir einige Abende später im Bierstadel, einer Restauration, in der er oft anzutreffen war – nicht, weil er dem Alkohol zugetan, sondern vielmehr in der steten, aber vergeblichen Hoffnung war, im dort sich tummelnden Volk den einen oder anderen Verbrecher auszumachen, den er von Fahndungsplakaten herunter auswendig gelernt hatte.

“A Riesasauerei”, betonte er mehrfach, “weil i di Burscha auf jeden Fall gschnappt hett, wenn i di Sonderkommissio hett eirichta dirfa. Abr di Birodroddl …” Er senkte die Stimme. “Die Birodroddl hen doch koi Ahnung, was mir do drausa laischda misset. Und no hoists: ‘Wägen eines Diebesgutes von 23 Eiro 17 kennen wir doch kaine Sonderkommission einrichta.’ Ja Scheißdrägg abr au! – A Porzio Pommfritz!” Letzterer Satz war natürlich in Richtung Küche gerufen und ich musste mir ein Grinsen verkneifen, weil dem Guten offensichtlich noch niemand gesagt hatte, dass die Abkürzung seiner Berufsbezeichnung “Polizeiobermeister” – also POM – in Verbindung mit seinem Nachnamen Fritz eben jene soeben bestellte Speise ergab: Pomm Frites.

Am nächsten Tag war ich froh, ihn diesbezüglich nicht aufgeklärt zu haben, denn wir benötigten erneut POM Fritzens Hilfe. Auch diesmal: ein Diebstahl.

Dazu muss ich etwas ausholen. Unser ein knappes Jahr zuvor geborenes Kind hatte unseren gewohnten Tagesablauf empfindlich in Unordnung gebracht. Damit war zu rechnen, denn wir hatten uns vorab informiert. Aber spezielle Details in der Lebensgestaltung der Spezies Baby werden in der Literatur systematisch ausgeblendet. Eines davon ist das Thema Ausscheidung.

Uns der Nachhaltigkeit verpflichtete Ökoschrotmüslis war von vornherein klar, dass Plastikwindeln auf gar keinen Fall in die Mülltüte kämen. Jeder pampersverpackte Säugling produziert im Laufe seiner Trockenlegung einen Müllberg von einer halben Tonne. Stoffwindeln waren die angesagte Alternative und zum guten Glück gab es vor Ort sogar einen Windelservice, der von einer sozialen Einrichtung betrieben wurde. Perfekt.

Tatsächlich hält sich die Sauerei nämlich in Grenzen, legt man zwischen Babypopo und Windel ein Trennblatt, das von grober Darmwurst über schlanke Böbbele bis hin zu feinster Flitzkacke alles geschickt absorbiert. So bleibt die Windel im großen und ganzen scheißfrei, der restliche, gelbflüssige Ausscheidungsanteil versickert tief im windeligen Baumwollstoff.

Da der Windeldienst einmal wöchentlich die Altlast abholte und gleichzeitig frischen Stoff anlieferte, wurde das kontaminierte Material in einer handelsüblichen Plastiktonne mit einem Sicherheitsbügel zwischengelagert. Diese Tonne stellten wir an Mittwochen morgens an die Straße und irgendwann zwischen zehn und zwölf kam der Zivi vorbei und tauschte die Tonnen aus. Bis auf jenen warmen Februarmorgen, an dem der junge Mann sein Busle verließ und ganz gegen seine Gewohnheit zur Tür kam und klingelte.
“Henn sie vergessa, die Tonne nauszumstella?”, fragte er.
“Nein”, sagte meine Frau.
“Do isch aber koine”, sagte der Zivi.
“Dann ist sie weg”, sagte meine Frau.
“Aber wer klaut denn verschissene Windla?”, fragte der Zivi.

Exakt die gleichen Worte wählte auch der POM Fritz, als ich ihm die Sache vortrug, denn wir hatten nicht vor, den unfassbaren Diebstahl einfach hinzunehmen.

“Aber wer klaut denn verschissene Windla?”, fragte der POM Fritz.
“Ich weiß es nicht”, erwiderte ich fröhlich, denn an dieser Stelle konnte ich ein Wortspiel unterbringen, auf das ich mächtig stolz war: “Ich weiß es nicht, aber diese Tat war mit Sicherheit eine ruchlose.” Brüller, oder?
Der POM Fritz war ins Grübeln geraten.
“Hennt Sie jemand gsäa?”
“Nein.”
“Hennt Ihre Nochbra jemand gsäa?”
“Das weiß ich nicht.”
“No gang i mol ermittla.”

POM Fritz setzte seine Dienstmütze auf, drehte das Schild an der Polizeidienststellentür um, auf dem “In dienstlicher Mission unterwegs” geschrieben stand und pfiff dem Hund, der wirklich und wahrhaftig “Kätschap” gerufen wurde. Das Tier war nämlich ein englischer Deutscher Schäferhund und sein Name kam von “to catch up”, was ja soviel heißt wie “aufholen, einholen”, mithin eine originäre Polizeidiensthundaufgabe.

POM Fritz und Catchup befragten die einzigen Zeugen des Straßengeschehens, nämlich das Rentnerehepaar schräg gegenüber, das seinen Stammplatz am Fenster nur zu Toilettengängen oder Schlafzwecken verließ. Indes war der Erfolg des Interviews schmal, wie er mir anschließend berichtete:
“Die henn gsäa, dass d Müllabfuhr do war, dr Boschtler, dr Gasmann und dr Gedränkehendler. Dr Pfarrer hod an Hausbsuch gmacht, dr Sportvarai hots Altbabier g’hoolt und dr Oberbirgermaischder war bei Eschingers näbenaan wägem Einanoinzigschda ond dees sei doch a Sauarei, bei ihnen täte där blos an graden Jubeltagen kommen. Der Nachbor schreg driba häbe wieder falsch geparkt und sain Hond häbe bei ihnen in den Garten gmacht. Bloß: wann – was – war – do drüber henn se sich so verschrdridda, dass se jez gar nix mee saged. Aber …”

POM Fritz legte eine bedeutungsschwangere Pause ein.
“Ja?”
“… i han a Theorie.”
“Und zwar?”
“Dr Schörlogg Haums hot amol gsagt: ‘Mein Nachdenken beginnt immer mit der Annahme, dass das, was ibrigbleibt, wenn Sie alles andere, was unmeglich ischd, ausgeschlossen haben, so unfassbar es einem auch erscheint, die Wahrheit sein muss.'”
“Klingt plausibel.”
„Wenden wir also die so genannte Eliminationsmethode an.
D Millabfuhr kommt am Donnerschdag. Heit isch Mittwoch. Domit ischd Millabfuhr klihn.”
“Einwandfrei.”
“Dr Boschdler kommd enteder vor zehne oder nach zwölfe, weil er dazwischa beim Küfer hoggt und Zwetschgaschnaps brobiert. Dieses Alibi isch sozusagen verbrieft.”
“Stimmt.”
“Beim Gasmann wois i, dass der graad wäga sainer faina Noos eigschdellt worda isch, damitr Gaslecks schnell findet. Der kann omeglich a verschissene Windeltonne klaut han. Oomeeglich.”
“Wenn Sie es sagen.”
“Jez zum Gedränkehendler. Des isch da gröschde Entaklemmer weit und breit. Der hot sain Laschdwaga immer überlada und sogar im Führerhaus no a Fässle Moschd. Der hett gar koin Blatz fir Windla.”
“Exzellent.”
“Dr Pfarrer. – Jo, den han i aigentlich am maischda im Verdacht g’het. Weil der doch sälber fünf Kinder hot, und die Drilling no im Saiglingsalder. Aber i han erfahra, dass der Hausbesuch beim alda Nill war. Und der beigt dem Pfarrer sai Fahrrad immer so voll mit Obschd ond Gmies, dass der niemols a Windeltonne mitnehma kenna hett.”
“Jetzt wird’s aber eng mit den Verdächtigen.”
“Schdemmt. Dr Sportvarai hots Altbabier wie immer am Samschdich g’hoolt.”
“Genau. Da war ich im Garten.”
“Dr aangäblich falschparkende Nochbor isch ledsches Johr wegzoga und sain scheißverdächtiger Hund isch scho vor drei Johr gschdorba.”
“Richtig. Aber wer bleibt denn dann noch übrig?”
“Dr Oberbirgermaischder. Wie Schörlogg Haums sagt: ‘Das, was ibrigbleibt, wenn Sie alles andere, was unmeglich ischd, ausgeschlossen haben, das muss die Wahrheit sein, so unfassbar es einem auch erscheint.'”
„Aber – das Motiv?“
„Windelfetischismus? Wahlkampfmadrial? Wer wois scho, was im Kopf von so ma Bolidiger rumgoht.“
Er wickelte sich die Hundeleine fester um die Hand und räusperte sich:
“I gang dann mol aufs Rathaus. I glaub, do gibt’s bald a Versetzung.”

Versetzt wurde dann allerdings der POM Fritz. Mit Catchup.