Werner Schärdel übernahm dann die undankbare Auftaktrolle. Den ersten Lacher verbuchte er mit der Feststellung, er sei Ethiklehrer. Bayrisch-poltisch ging es dann in einen bürgerlichen Sermon über die Dekadenz der Jugend, bei dem man nie so ganz sicher war, ob hier der glasscherbenerfahrene Spießbürger oder eher die alkoholisierte Jugend an den Pranger gestellt werden sollte. [Ein Selbsttest heute morgen ergab, dass man in der Frühe keinen Alkohol zu sich nehmen sollte. Oder, dass ich kein Jugendlicher mehr bin.]
Maximilian Liesner konnte als Sieger des ersten Philo-Slams eigentlich „nur verlieren“, wie er selbst sagte. Er gewann aber das symbolträchtige Votum von 42 Punkten mit einem Text, in dem er ein fiktives Du damit konfrontierte, dass es sich selbst akzeptieren müsse. Was naturgemäß schwierig sei, wenn man den ganzen Tag mit sich zu tun habe. Seine Lösung: Sich selbst morgens vor dem Spiegel alle eigenen Unzulänglichkeiten lautstark vorzuhalten, auf dass der Tag keine Überraschungen mehr hervorbringen könne. [Ein Selbsttest heute morgen weckte Frau und Kind und brachte eine nicht eingeplante häusliche Missstimmung.]
Einzige Frau unter den Philosophierenden war Anna B. Ebenfalls als einzige hatte sie mehrere kurze Texte im Gepäck, von denen allerdings nur der erste dem Thema des Abends gerecht wurde. Unter dem Titel „schwerer Sturz“ schilderte sie in akribisch-wortwitzigen Wörterschichtungen die Konsistenz von lebensbeschreibenden Papierstapeln in ihrem Arbeitszimmer, bevor sie einen davon wortreich zusammenstürzen ließ. [Ein Selbsttest heute morgen ergab: Solche Stapel stürzen immer dann ein, wenn man es gar nicht brauchen kann.]
Patrick Seitz hatte von allen fünfen das Thema am wörtlichsten genommen und lotete verschiedene Möglichkeiten aus, den Sinn des Lebens zu verstehen. Die Antwort, so seine These, liege aber im jeweiligen Blickwinkel des danach Befragten. So gescheitert, versuchte er die Antwort im Verhalten der Menschen zu suchen, die ja daran interessiert sein müssten, dem Leben einen Sinn abzugewinnen. Auch hier fand er nur Widersprüche und kam so zur einzig übrigbleibenden Lösung: Dem Leben ist Selbstzweck. Das brachte ihm 43 Punkte ein. [Ein Selbsttest heute morgen zeigte allerdings, dass vor halb sechs keinerlei Sinntätigkeit stattfindet. Nicht einmal selbstbezweckende.]
Als einziger Blattloser enterte Christoph Knüser das Podium und haute dem verdutzten Publikum philosophische Schachtelsätze um die Ohren, die dem sodann angestellten Vergleich mit dem wirklichen Leben nie und nimmer standhielten. Letzteres hielt sogleich Einzug in Form eines Werbespots für die neue Camel Medium. [Ein Selbsttest heute morgen am Kiosk ergab übrigens, dass es die Marke gar nicht gibt.] Die Idee, die Werbeindustrie zum Zeugen für oder gegen die Existenz eines Lebenssinns zu machen, hatte viel für sich, denn: Gäbe es einen, würde er schon längst in komprimierter Form im Gemüseregal stehen. Tut er aber nicht. „Oder?“, fragte sich daraufhin das Publikum und verschaffte Knüser mit donnerndem Applaus einen hauchdünnen Einpunktevorsprung und den Tagessieg.
Nachdem dieser einen Schierlingsbecher samt Theaterfreikarten in Empfang nehmen durfte und auch die anderen Vortragenden mit warmem Applaus verabschiedet worden waren, war der Philo-Slam nach einer guten, kurzweiligen und sinnträchtigen Stunde auch schon wieder am Ende. Meine Verblüffung darüber war so groß, dass ich erst auf der Heimatfahrt merkte, dass in den angebrochenen Abend noch gut und gerne ein Feierabendbier mit meinem Nebensitzer gepasst hätte. Das holen wir nächstes Mal aber nach, Helmut!
Nachtrag 7.12.
Christoph Knüser heißt in wirklich Christoph Knüsel. Das erklärt manches, vor allem aber, dass ich ihn im Netz nicht fand.